Die Psychologie kennt einen fundamentalen Attributionsfehler. Damit ist eine Tendenz gemeint, die Entscheidungen anderer systematisch anders zu beurteilen wie das eigene Verhalten. Es ist einfach menschlich. Wir tendieren dazu, das Verhalten anderer mit deren "Persönlichkeitseigenschaften" zu erklären, während wir uns selbst oft durch die Umstände beeinflusst fühlen.
Das Argument "alternativlos" wird immer wieder strapaziert, wenn jemand sich durch die Umstände zu einer bestimmten Entscheidung geradezu genötigt sieht. Außenstehende sehen in solchen Fällen oft jedoch durchaus Alternativen, die gewählt werden könnten oder müssten.
Kein Wunder, dass es zu solchen Differenzen kommt, kennen wir alle unsere eigene Situation doch am besten. Das hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass wir mit den Einzelheiten gut vertraut sind. Nachteilig ist, dass sich der Blick für die offen stehenden Möglichkeiten sehr verengen kann. Dann können gute Alternativen leicht übersehen werden. Es ist aber nicht so einfach, sich in die Situation anderer hineinzuversetzen. Gegenseitiges Verständnis bedarf auch einiger Anstrengungen und Übung.
Das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) scheint einem Phänomen zum Opfer gefallen zu sein, das etwas mit fehlendem Verständnis für die unternehmerische Perspektive zu tun zu haben scheint und deshalb hier als fundamentaler ISE-Fehler bezeichnet werden soll.
Forscher betrachten die Welt aus einem anderen Blickwinkel wie Unternehmer. Das Handeln des Unternehmers muss immer die Wirtschaftlichkeit berücksichtigen. Deshalb ist er es gewohnt, alle Entscheidungen mit Blick auf die ökonomischen Auswirkungen abzuwägen. Diese Sichtweise ist Forschern verständlicherweise fremd. Ihnen geht es darum, bestimmte Fragen zu beantworten. In der Wissenschaft geht es um Erkenntnisfortschritt. Solange die Arbeitszeit und die Arbeitsmittel des Forschers finanziert sind, spielen die Kosten keine Rolle.
Was aber passieren kann, wenn Forscher ausgerechnet die unternehmerische Fragestellung nach den Kosten einer Technologie zu beantworten versuchen, zeigt die ISE-Studie über das X-GW Fabrikkonzept geradezu modellhaft. In dem Papier werden drei alternative Ansätze zur Solarmodulfertigung betrachtet. Die Autoren versuchen damit auch eine Frage zu klären, die Forscher normalerweise gar nicht interessiert. Nämlich die Frage nach den Kosten einer Serienfertigung.
Zunächst kann angemerkt werden, dass das zentrale Kapitel der Studie "Technoökonomische Analyse einer X-GW Fabrik" mit nur 24 Seiten im Verhältnis zum gesamten Text von 145 Seiten recht kurz geraten ist. Wie soll eigentlich auf so wenig Platz ein derart komplexer Sachverhalt erläutert werden können? Vielleicht ist schon das ein Indiz dafür, dass sich die Forscher für die Frage eigentlich gar nicht interessiert haben.
Außerdem ist anzumerken, dass sich die Studie nicht ausreichend mit der Frage befasst, ob die Voraussetzungen für die Berechnung der Kosten der drei betrachteten Technologien überhaupt gegeben waren. Das hätte jedoch unbedingt diskutiert werden müssen. Insbesondere scheinen die Voraussetzungen im Fall der 3. Alternative, einer CIGS-Variante, nicht gegeben gewesen zu sein. Die Autoren berichten, dass die Kennwerte für diese Alternative von der Firma Manz zugeliefert worden seien. Es ist jedoch schon zweifelhaft, dass dem ISE ausreichende Informationen zur Verfügung gestellt worden sind, denn wichtige Einzelheiten waren in dem Fall sicher als Firmengeheimnisse einzustufen und sind den ISE-Forschern deshalb wahrscheinlich nicht mitgeteilt worden.
Aber darum soll es hier gar nicht gehen. Es soll auch gar nicht darum gehen, noch einmal die Nachteile von Dünnschichttechnologien im Vergleich zu kristallinen Solarmodulen zu nennen.
Aber halten wir zunächst fest, dass die ISE-Forscher die drei Alternativen mit Blick auf den zeitlichen Horizont 2017 durchgerechnet haben und auch im Fall des CIGS-Ansatzes zu einem Ergebnis gekommen sind. Demnach soll die Herstellung der CIGS-Module in einer "0,5 Giga-Fabrik" abzüglich der Nachkommastelle 42 Euro-Cent je Watt kosten. Das ist jedenfalls auf Seite 75 der Studie nachzulesen. Natürlich wird sich kein Naturwissenschaftler, über dieses Ergebnis wundern. Das Ergebnis hätte man nicht berechnen müssen, man hätte es bei Douglas Adams im Roman "Per Anhalter durch die Galaxis" nachschlagen können.
Aber bleiben wir ernsthaft bei der Sache und halten fest, dass diese Kosten laut Studienergebnis angeblich im Jahr 2017 konkurrenzfähig sein sollen. Auch das wird leider zu wenig diskutiert, aber auch darauf soll hier nicht weiter eingegangen werden. Viel wichtiger erscheint, dass die Autoren der Studie die Grundlegenden Zusammenhänge gar nicht verstanden zu haben scheinen.
Bei der Untersuchung komplexer Sachverhalte ist ein Verständnis der Zusammenhänge meist wichtiger als konkrete Fakten, die sich beispielsweise durch Marktbewegungen jederzeit verändern können. Wer sich wie das ISE mit den Herstellungskosten von Solarmodulen beschäftigt, muss sich deshalb zunächst mit den wesentlichen Zusammenhängen vertraut machen.
So ist der jeweilige Anwendungsbereich von technischen Verfahren zu berücksichtigen. Mit einem Pinsel streicht man kleine Flächen, Ecken und Kanten. Das funktioniert sehr gut. Es würde jedoch niemandem einfallen, eine Wand mit einem Pinsel zu streichen. Dafür gibt es mit dem Farbroller ein viel besseres Werkzeug. Entsprechend hat jedes industrielle Verfahren einen geeigneten Anwendungsbereich. Außerhalb bestimmter Grenzen überwiegen die Nachteile. Manchmal begrenzen auch physikalische Gesetze den Einsatzbereich.
In der Chemie sind viele Verfahren Flächen- oder Volumenabhängig. Reaktionen, die im Reagenzglas wie gewünscht verlaufen, können bei Verwendung größerer Mengen zu ganz anderen Ergebnissen führen. Deshalb befasst sich mit der Verfahrenstechnik eine eigene Fachrichtung mit der Transformierung von Laborversuchen auf industrielle Massstäbe. Ein Verfahrensingenieur muss sich zunächst mit den Einsatzmöglichkeiten und Grenzen der favorisierten Verfahren vertraut machen. Im Fall von Solarmodulen sind diese sogar recht einfach zu ermitteln und zu veranschaulichen.
Nachfolgend werden deshalb die wichtigsten Zusammenhänge der waferbasierten und der monolithischen Dünnschichtphotovoltaik besprochen. Dabei kommt es weniger auf die genaue Position der Relationen im Koodinatensystem an. Je nach Marktentwicklung oder technischem Fortschritt können sich die Kurven horizontal oder vertikal verschieben. Entscheidend ist jedoch in jedem Fall die Form der Kurven.
Ein Unternehmer wird sich immer am Optimum orientieren, denn es geht ihm ja darum, das beste Kosten-Nutzerverhältnis zu erzielen. Weiter sind robuste und weniger robuste Verfahren zu unterscheiden. Bei robusten Verfahren ist die Talsohle, die den optimalen Bereich kennzeichnet, relativ breit. Dagegen bieten empfindliche Verfahren nur ein schmales Fenster, das möglicherweise für die wirtschaftliche Nutzung geeignet ist.
Die waferbasierte Solarmodulherstellung besteht aus zwei Stufen. Zunächst werden die eigentlichen Solarzellen, die das Licht in Strom umwandeln, hergestellt. Als Material hat sich Silizium bewährt.
In der Regel werden quadratische Siliziumzellen mit Kantenlängen von 125 oder 156 mm eingesetzt. Das wirtschaftliche Optimum ergibt sich also schon empirisch und liegt damit im Bereich von 0,015 bis 0,025 m². Die Fläche-Kosten-Relation verläuft wie nebenstehend modellhaft dargestellt.
Links des grünen Bereiches explodieren die Kosten durch stückzahlbedingte Faktoren. Zunehmende Maschinenkosten und Ausschussquoten sowie geringere Wirkungsgrade führen dazu, dass die Kurve rechts des optimalen Bereiches schnell ansteigt.
Ist eine geeignete Zellgröße festgelegt, so ist im zweiten Schritt eine möglichst optimale Modulgröße zu wählen. Diese kann ebenfalls empirisch abgeschätzt werden. Meistens werden Flächen im Bereich von etwa 1,5 bis 2 m² verwendet. Entsprechend wählte auch das ISE in oben genannter Studie mit einer Modulfläche von 1,63 m² einen Wert innerhalb des in Abbildung 2 markierten optimalen Fensters.
Links davon steigen die Kosten wiederum durch stückzahlbedingte Faktoren an. Der „grüne Bereich“ ist hier recht breit, da zur Modulherstellung robuste Verfahren zur Verfügung stehen. Die Verfahren sind „skalierbar“, d. h. es können auch größere Module noch relativ leicht und effizient hergestellt werden.
Im Gegensatz dazu bilden Zelle und Modul bei der CIGS-Technologie eine Einheit und können nicht unabhängig optimiert werden. Es ist also nur ein Zusammenhang zu beachten. Die verwendeten Verfahren sind auch stark flächenabhängig, der optimale Bereich ist recht schmal. Die Modulgrößen liegen hier typischerweise im Bereich von 0,6 bis 1,1 m².
Das ISE hat sich mit diesem wesentlichen Sachverhalt nicht befasst und ist offenbar von einer stetig abfallenden Kosten-Nutzen-Relation ausgegangen (rote Linie). Es ist sofort erkennbar, dass die in der Studie genannte Fläche (1,92 m²) weit vom tatsächlichen wirtschaftlichen Optimum entfernt ist und sogar über der gewählten Fläche für die siliziumbasierten Module (1,63 m²) liegt. Schon damit sind die vom ISE errechneten Kosten von 0,37 bis 0,42 Euro je Watt als ausgeschlossen zu betrachten.
Falls die Technologie überhaupt entwickelt werden könnte, wäre nach der optimistischen Abbildung 3 mit Kosten von mindesten 2 Euro je Watt zu rechnen. Es ist jedoch ohnehin praktisch ausgeschlossen, dass bis 2017 eine solche Technologie entwickelt werden kann.
Nachfolgend ist eine Zusammenfassung dieser Sachverhalte, die jeder Unternehmer und Verfahrenstechniker unbedingt zu berücksichtigen hat, abrufbar:
Schon der Versuch des ISE, mit einer "technoökonomischen Analyse" die Kosten einer Solarmodulfertigung im Jahr 2017 vorhersagen zu können, muss als untauglich betrachtet werden. Implizit behauptet das ISE damit, dass es nur eine einzige gültige Wahrheit gibt und diese berechnen zu können. Derartige Annahmen sind jedoch nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch unrealistisch. Selbst ein Institut wie das ISE kann nicht die Kosten für noch nicht existierende Technologien abschätzen oder die Entwicklung der weltweit zahlreichen Solarmodulhersteller auf analytischem Weg vorhersagen.
Notwendig ist vielmehr eine unternehmerische Vorgehensweise, die unbedingt die verfahrenstechnischen Gegebenheiten und die wichtigen Zusammenhänge berücksichtigen muss. Schon deshalb ist der vom ISE als Alternative 3 berücksichtigte Ansatz als völlig chancenlos zu bewerten. Das vom ISE errechnete Ergebnis ist wie oben dargelegt unsinnig, weil wesentliche Unterschiede zwischen den monolithischen Dünnschichttechnologien und waferbasierten Technologien nicht berücksichtigt worden sind. Die Wissenschaftler haben versäumt, die Perspektive eines Unternehmers oder Verfahrensinbenieurs einzunehmen und sind damit dem fundamentalen ISE-Fehler zum Opfer gefallen.
Dieser Denkfehler kommt auch gelegentlich in Aussagen von Wissenschaftlern zum Ausdruck. So äußerte die HZB-Wissenschaftlerin Martha Lux-Steiner:
Chalkopyrite sind neben "mikromorphem" Silizium der erfolgversprechendste Werkstoff, um hocheffiziente Sonnenlich-Absorber auf quadratmetergroßen Flächen herzustellen. "Die
Herstellungskosten sinken mit der Größe", erklärt Lux-Steiner. "Wir schaffen mit unserer ausgegründeten Firma schon 60 mal 120 Zentimeter". (FIF / Report, Martha Lux-Steiner nutzt
jeden Sonnenstrahl, 2006)
Die Aussage ist jedoch falsch. Die Kosten-Nutzen-Relation verläuft nicht stetig abfallend, sie hat wie ausgeführt eine U-Form. Es kann kein unternehmerisches Ziel sein die Modulfläche zu maximieren. Vielmehr muss ein Unternehmer bei gegebenem technologischen Ansatz nach der optimalen Modulfläche fragen.
Die Einschätzung deckt sich mit Expertenaussagen, die in den letzten Jahren immer häufiger zu hören sind. Weiter ist anzumerken, dass bisher noch kein Hersteller von CIS-Solarmodulen Gewinne erwirtschaften konnte. Die vom ISE berücksichtigte Firma Manz bietet seit Jahren erfolglos eine Produktionslinie für Module mit einer Fläche von nur 0,72 m² an. Die Module selbst werden schon länger nicht mehr vermarktet. Hinzu kommen gravierende Qualitätsprobleme. Die Nachteile der CIS-Dünnschichtphotovoltaik sind hier zusammenfassend dargelegt.
Letztlich bleibt festzustellen, dass das ISE jegliche Abschätzung der Herstellungskosten für CIGS-Module mit einer Fläche von 1,92 m² hätte ablehnen müssen.
16.3.2014 / Letzte Änderung: 29.4.2014