Ein Vorgang, den Kai Kupferschmidt auf Twitter selbst berichtet, belegt wie kaum ein anderer die Naivität, Unkenntnis oder Unwilligkeit des Autors hinsichtlich seiner journalistischen Pflichten. Die von Kupferschmidt selbst berichteten Sachverhalte werden hier nachfolgend zusammenfassend wieder gegeben.
Ein Schwerpunkt Kupferschmidts in den letzten Jahren waren Recherchen zur Farbe blau. Dazu habe Kupferschmidt auch eine Recherchereise nach Japan durchgeführt, die von "News from Science" beauftragt und bezahlt worden sei. So wie das Magazin Science wird auch "News from Science" von der AAAS finanziert und betrieben.
Ein Ergebnis dieser Reise war der Beitrag "In search of blue", erschienen am 3.5.2019 im Magazin Science (S. 424-439). Dazu existiert eine Internetveröffentlichung vom 2.5.2019. Bei Science war auch bekannt, dass Kupferschmidt im Oktober des Jahres eine Buchveröffentlichung zum Thema plante. Darauf wurde wie folgt hingewiesen:
"Kai Kupferschmidt is writing a book about the color blue, to be published this autumn".
Die Internetversion enthält einen entsprechenden Hinweis.
Im Mai 2019 war Kupferschmidt bei der Süddeutschen Zeitung längst als Autor aussortiert worden. Doch an einem Donnerstag im Juli 2019 erhält er von der Redaktion die Nachricht, dass sein Science-Beitrag in der Wochenendausgabe in übersetzter Version erscheinen sollte. Hintergrund war, dass in dieser Ausgabe wohl kurzfristig noch zwei Seiten gefüllt werden mussten. Dazu hatte die SZ von Science die Zustimmung zur Wiederveröffentlichung von Kupferschmidts Text erhalten.
Tatsächlich veröffentlichte die SZ am 6.7.2019 Kupferschmidts Originaltext "In search of blue" unter dem Titel "Das blaue Wunder". Dazu zeigt Kupferschmidt einen Beleg in seinen Ausführungen bei Twitter:
Die SZ hatte in diesem Fall also alles richtig gemacht. Man hatte einen externen Text übernommen, unverändert übersetzen lassen und mit Hinweis auf die Quelle veröffentlicht. Doch eben dies empörte Kupferschmidt derart, dass er sich zu einem detaillierten Wutausbruch auf Twitter veranlasst sah.
Er beklagte, dass die SZ den Text nicht später anlässlich seiner Buchveröffentlichung herausbringen wollte. Die SZ habe sich geweigert, so wie Science einen Hinweis auf sein neues Buch zu drucken. Der Autor erregte sich weiter, dass er nicht die Möglichkeit erhalten habe, eine spezielle Version des Beitrags für die SZ zu erstellen. Überhaupt habe er für diese Veröffentlichung keinerlei Honorar von der SZ erhalten.
Vor diesem Hintergrund wirkt die Kritik, die Kupferschmidt via Twitter an seiner Behandlung durch die SZ übt, geradezu verstörend absurd. Da Kupferschmidt sich hier als Journalist und Experte öffentlich einlässt, besteht ein großes öffentliches Interesse an den Hintergründen. Auch deshalb seien einige Aussagen hier zitiert:
Der Vortrag kann nur so interpretiert werden, dass Kupferschmidt seine Urheberrechte vertraglich an Science abgegeben hatte. Die SZ hat sich darauf die Rechte für eine deutschsprachige Veröffentlichung gesichert. Somit ist alles korrekt abgelaufen.
Anlässlich der Buchveröffentlichung im Oktober 2019 sind dann doch noch mehrere Berichte in Zeitungen erschienen, in denen wie vom Autor gewünscht ausdrücklich auf die Neuerscheinung hingewiesen wurde. Neben einigen Rezensionen hatte Kupferschmidt auch die Möglichkeit selbst für sein Werk Werbung machen.
So veröffentlichte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) in ihrer Wochenendausgabe vom 6.10.2019 wie schon die SZ ebenfalls einen zweiseitigen Beitrag mit dem Titel "Das blaue Wunder". Dabei handelte es sich jedoch nicht um den Text der SZ. Wie ein Abgleich zeigt (V1527), wurde der SZ-Text wohl als Vorlage benutzt und gekürzt. Einige Fehler wurden korrigiert und einige inhaltliche Manipulationen vorgenommen.
Wie Science hat die NZZ durch einen Hinweis auf die aktuelle Buchveröffentlichung des Autors hingewiesen:
"Kai Kupferschmidt: Blau. Wie die Schönheit in die Welt kommt. Hoffmann und Campe 2019, 240 Seiten (erscheint am 7. Oktober)."
Nachfolgend die erste Seite des Textvergleiches:
Unter Verwendung einer von der SZ bezahlten Übersetzung hat Kupferschmidt hier also einen Werbebeitrag für sein Sachbuch erstellt, die NZZ hat ihn veröffentlicht und wohl auch bezahlt. So glaubt Kupferschmidt, sich selbst als Sachbuchautor vermakten zu dürfen.
Kupferschmidt konnte in gleicher Art und Weise noch einen weiteren Beitrag in der Wochenzeitung Die Zeit platzieren. Wiederum handelte es sich dabei um einen zweiseitigen Artikel, der in der gedruckten Ausgabe der Zeit vom 10.10.2019 erschienen ist. Der weitgehend neu abgefasste Text behandelt inhaltlich erneut die Themen aus Kupferschmidts Buch.
Die Zeit verwies mit diesem Hinweis auf die Neuerscheinung:
"Blau. Wie die Schönheit in die Welt kommt" heißt das neue Buch von Kai Kupferschmidt, das dieser Tage erschienen ist (Hoffmann und Campe, 240 S., 26,- €)
Kupferschmidts Buch wurde vielfach in Zeitungen und Zeitschriften der Allgemeinheit empfohlen, in der Vorweihnachtszeit 2019 wurde es den Lesern als Geschenktipp präsentiert.
Hinzu kommen einige Rezensionen in lokalen und überregionalen Zeitungen. Eine Rezension von Sascha Karberg erschien im Berliner Tagesspiegel am 7.10.2020. Weitere Buchbesprechungen folgten etwa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Spektrum der Wissenschaften, Deutschlandfunk und im Westdeutschen Rundfunk.
Der Südkurier verbreitete ein Gespräch mit dem Autor. Der Beitrag "Blau - die Diva unter den Farben" von Tobias Jochheim erschien in zahlreichen Regionalzeitungen bis zum Sommer 2020. Nachfolgend wird außerdem beispielhaft die Rezension "Wie blau sieht die Blaumeise" von Katharina Rudolph, erschienen in der FAZ, gezeigt.
Wie lebt eigentlich ein freier Journalist in Berlin, der so verwegen ist der Süddeutschen Zeitung vorzuhalten, durch Unterlassung einer kostenlosen Werbung für sein Buch seine Lebensgrundlage zu zerstören?
Bekanntlich war Berlin einmal eine Stadt, in der jeder leicht eine Wohnung finden konnte. Das jedoch hat sich in den letzten Jahren dramatisch geändert. Inzwischen herrscht Wohnungsnot in der Stadt, die Immobilien- und Mietpreise sind explodiert. Begleitet wird dieser Trend durch immer mehr Obdachlose auf den Straßen. Durch die angebliche Aufwertung von Kiezen werden die ansässigen Bewohner verdrängt. Sie können die steigenden Mieten nicht bezahlen und sich erst recht keine Wohnung in den ach so coolen Neubauten leisten. Diese Entwicklung wird mit dem störrischen Wort "Gentrifizierung" bezeichnet.
Kai Kupferschmidt lebt seit 2009 in Berlin. Man sollte meinen, ein freier Journalist, der ständig um Aufträge und sein täglich Brot kämpfen muss, dürfte auch zu denen gehören, die kaum noch eine Wohnung finden. Man würde erwarten, ein solcher Journalist würde auch die unübersehbaren Missstände in Berlin anprangern. Für Kupferschmidt wäre es leicht möglich, auch einmal die allgegenwärtige Not der Menschen in Berlin zu dokumentieren und öffentlich zu machen.
Doch das hat er noch nie getan. Bisher liegt kein Beitrag vor, mit dem Kupferschmidt Missstände in Berlin angeprangert und die Verantwortlichen etwa aus Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft genannt hätte. Warum nicht? Warum erregt sich Kupferschmidt öffentlichkeitswirksam gegen einen früheren Geschäftspartner, die SZ mit Sitz in München, statt auf die Missstände vor seiner Haustür hinzuweisen?
Ein Teil der Antwort ist wohl, dass Kupferschmidt kein Autor ist, der sich im Interesse seiner Leser engagiert. Ein anderer Teil der Antwort dürfte sein, dass Kupferschmidt wohl nicht zu denen gehört, die unter Gentrifizierung zu leiden haben, sondern zu denen, die davon selbst profitieren. Er bewohnt nämlich seit etwa 2019 selbst einen jener Immobilienklötze, die Spekulanten nicht als Wohnraum für Menschen, sondern als Spekulationsobjekte errichtet haben.
Der nachfolgende Bildausschnitt ist einer Annonce der Maklerfirma entnommen, die mit der Vermaktung der Wohnungen befasst war. Dieser Klotz wurde als "spektakuläres Loftgebäude" mit "eindrucksvoller Ästhätik" bezeichnet.
Eindrucksvoll waren auch die Preisvorstellungen des Bauherren. Für eine Wohnung mit 3,5 Zimmern (188m²) verteilt auf drei Ebenen mit drei Terassen (insgesamt 150 m²) wurde ein Kaufpreis von 1.995.000,- Euro aufgerufen.
Dafür seien, so der Werbetext, "praktisch alle Highlights der Hauptstadt blitzschnell erreicht", wie etwa das Alexa Einkaufszentrum, das Auswärtige Amt, der Club Berghain, das Badeschiff und weitere. Es ist durchaus interessant zu erfahren, was Makler sich unter den Highlights in Berlin vorstellen. Der gemeine Bürger mag sich freilich wundern, ob sich durch die Nennung einer Bundesbehörde in einem Atemzug mit Berhain, Badeschiff und Alexa tatsächlich bestimmte Immobilienkunden angesprochen fühlen könnten.
Definitiv vergessen wurde in dem Exposé die Nennung eines Lowlights der Stadt, nämlich das Kottbusser Tor. Das wäre für die Bewohner der exklusiven Immobilie quasi noch blitzschneller zu erreichen als die genannten angeblichen Hochpunkte, beträgt die Entfernung doch nur etwa 700 Meter. Vom Kottbusser Tor aus könnten dann gleich drei U-Bahn Linien, nämlich U 1, U 3 und U 8 genutzt werden, um weitere Highlights der Stadt zu erleben.
So könnte mit der beliebten U 8 über nur zwei Stationen der Hermannplatz mit seinen vielfältigen Einkaufsmöglichkeiten angesteuert werden. Es ist merkwürdig, dass die Makler mögliche Käufer zum Einkauf ins Alexa, mit seiner oft kritisierten tristen Fassade, schicken wollten. Dagegen gibt es am Hermannplatz ein tatsächlich eindrucksvolles denkmalgeschütztes Kaufhaus, mit einem sicher ausreichenden Angebot.
Die Ausführungen Kupferschmidts in eigener Sache zeigen, dass der Autor weder über elementare urheberrechtliche Fragen, noch über seine journalistischen Pflichten informiert zu sein scheint. Wenn er tatsächlich wie behauptet eine Journalistenschule besucht hätte, müsste er weit besser informiert sein.
Zunächst müsste er wissen, dass professionelle Journalisten etwaige Unstimmigkeiten mit früheren oder aktuellen Auftraggebern nicht in der Öffentlichkeit breit walzen, noch dazu wenn für den verdutzten Leser beim besten Willen kein wirklicher Anlass erkennbar ist.
Auch müsste Kupferschmidt wissen, dass Journalisten grundsätzlich nicht unterschiedliche Versionen ihrer Beiträge verfassen, um diese an verschiedenste Abnehmer zu verkaufen. Schon gar nicht dürfen Journalisten von kommerziellen Auftraggebern bezahlte Arbeiten manipulieren und ohne Hinweis auf den Ursprung in journalistischen Medien wieder veröffentlichen.
Wäre dies anders, dann müsste in journalistischen Ausbildungen unterrichtet werden, worauf bei der Überarbeitung von Texten zur Weiterverwendung zu achten wäre. Doch wird dies in keiner journalistischen Ausbildung gelehrt, schlicht weil solche Praktiken unzulässig sind. Selbst Märchenerzähler wie die Gebrüder Grimm haben nur eine Version von Hänsel und Gretel veröffentlicht, und das obwohl Märchen, anders als manipulierte journalistische Beiträge, für den Leser leicht als solche zu erkennen sind.
Trotz der Differenzen mit der SZ wurde Kupferschmidts Buch von einer erstaunlichen Werbekampagne begleitet. Wie geschildert konnte der Autor in überregionalen Medien mit mehrseitigen Beiträgen selbst für sein Buch werben. Hinzu kamen zahlreiche Kaufempfehlungen, Rezensionen und Interviews mit dem Autor. Dabei wurden immer wieder Textteile aus dem Buch verwendet.
Jeder Sachbuchautor wäre glücklich, würde seine Buchveröffentlichung öffentlich derart beworben. Aber kaum ein Autor hat diese Möglichkeiten. Die meisten Autoren hätten auch keinen Zugang zu den Wissenschaftlern, die Kupferschmidt auf seinen teilweise gesponserten Reisen nach Japan und in die USA getroffen hat.
Die Wohnadresse Kupferschmidts spricht Bände. Offensichtlich war seine Lebensgrundlage nie wie behauptet bedroht. Andererseits dokumentiert der Neubau als Fremdkörper in einer Berliner Lage, die früher auch für "normale" Bürger erschwinglich war, dass Kupferschmidt seine Mitmenschen in Berlin reichlich egal sind. Mit diesem "spektakulären Loftgebäude" grenzen sich seine Bewohner ab. Sie wollen nichts mit ihrer Umgebung zu tun haben, Kupferschmidt ist nicht von Gentrifizierung betroffen, er ist selbst ein Gentrifizierer.
Die Bewohner kommen natürlich auch nicht auf die Idee, am Hermannplatz einzukaufen. Lieber schauen sie durch ihre "bodentiefen Fenster und Glasschiebetüren" nur herab auf das Elend in südlicher Richtung am Kottbusser Tor. Nicht einmal den auch fachlich naheliegendsten Fragen geht Kupferschmidt mit seinen journalistischen Möglichkeiten nach. Wie leicht könnte er einmal eine Reportage über illegale Partys in Corona-Zeiten erstellen, von denen sonst nur in Kurzmeldungen zu lesen ist.
Aber auch solche Reportagen über das Alltagsgeschehen liegen dem selbsternannten Journalisten fern. Er schweigt dazu, dass in den aktuellen Corona-Zeiten die Ausbreitung des Erregers durch illegale Veranstaltungen erheblich gefördert worden sein soll. Genausso wie er verharmlost, dass das HI-Virus in der Berliner Partyszene oft durch Unvernunft und Fahrlässigkeit weiter gereicht wird. Kupferschmidt ist eben genauso Teil der Partyszene, wie er Teil derer ist, die vom Immobilienboom in Berlin profitieren. Kein Wunder, dass der ohnehin kaum vorhandene journalistische Ehrgeiz mit Blick auf die wirklichen Probleme in Berlin vollkommen fehlt.
14.12.2020 / Letzte Änderung: