Auf seiner Homepage und vielfach an anderer Stelle bezeichnet sich Kupferschmidt als Journalist und Molekularbiomediziner. Als Schwerpunkte neben anderen Themen nennt er an erster Stelle "Infektionskrankheiten". Es ist kein Wunder, dass jemand mit derartigem Profil ein Buch über Seuchen schreibt. So erschien 2018 bei Reklam in der Serie "100 Seiten" ein schmaler Band mit eben dem Titel Seuchen von Kai Kupferschmidt.
Zunächst fällt auf, dass Kupferschmidt in der Autorenvorstellung nur als "freier Journalist" bezeichnet wird. Warum wird ein Fachmann mit dem Spezialgebiet Seuchen in einem Buch zu diesem Thema nicht auch als Fachmann vorgestellt? Zumal Kupferschmidt in dem Text auch eigenes Wissen und eigene Erfahrungen einfließen lässt. Das Buch enthält leider auch keinen Hinweis auf die Homepage des Autors, damit ein interessierter Leser sich dort kundig machen könnte.
Immerhin erklärt der Verlag einführend: "Einige Passagen wurden vom Autor in ähnlicher Form bereits in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht." Das ist tatsächlich so. Ein Leser, der die journalistischen Berichte Kupferschmidts kennt, merkt sofort, dass das Buch zum großen Teil aus diesen Texten zusammengebaut wurde. Abgesehen von urheberrechtlichen Fragen, die sich stellen könnten, wenn journalistische Texte in Büchern weiter verwertet werden, sollte ein Journalist derartiges grundsätzlich nicht machen.
Davon abgesehen hat Kupferschmidt in dem Buch nicht nur Material aus der Süddeutschen Zeitung, sondern auch aus Beiträgen für andere Herausgeber verwendet.
2014 war es in Westafrika zu einem Ebolaausbruch gekommen. Das Ebolavirus befällt Menschen und bestimmte Tiere, die Erkrankung verläuft in vielen Fällen tödlich. Deshalb hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO im August 2014 die Entwicklung als internationalen Notfall deklariert. Von da an hatte Kupferschmidt mehrfach in Science und in Zeitungen berichtet.
Für Recherchen war Kupferschmidt 2014 auch in Liberia. Wie diese Reise finanziert wurde ist nicht klar, bisher konnten dazu keine Hinweise ermittelt werden. Aber es ist wohl davon auszugehen, dass Kupferschmidt diese Reise und den Aufenthalt nicht selbst finanziert haben dürfte.
Vor Ort nahm Kupferschmidt an einer kleinen Expedition teil. Um die weitere Ausbreitung der Seuche zu verhindern, bemühte man sich Kontaktpersonen von Infizierten ausfindig zu machen, um sie zu isolieren und ggf. behandeln zu können. In dem Fall ging es um eine möglicherweise schwangere Frau, die Kontakt mit an Ebola verstorbenen Personen gehabt haben sollte. Nach Hinweisen sollte sich die Frau in einem abgelegenen Dorf namens Fenemetaa aufhalten.
Das Dorf war nur zu Fuß über unwegsame Pfade zu erreichen. Dem "Team von Ärzten und Helfern" stand zur Orientierung nur eine grobe von Hand gezeichnete Skizze zur Verfügung. Nach viereinhalb Studen erreichte die Gruppe das Ziel. Die Expedition war jedoch erfolglos, da die gesuchte Frau nicht gefunden wurde.
Kupferschmidt berichtete über diesen Tag zunächst ausführlich in der Druckausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 29.11.2014 mit dem Beitrag "Auf der Suche nach der Seuche". Am 9.1.2015 folgte ein weiterer Bericht in englischer Sprache im Magazin Science. Dabei handelte es sich jedoch nicht um eine Übersetzung, der Autor hat die Geschichte neu erzählt und auch inhaltliche Änderungen vorgenommen.
Laut Version in der SZ hatte die Gruppe auf dem Rückweg einen älteren Mann angetroffen, der die gesuchte Frau als Heiler behandelt haben sollte. Der Mann wurde mitgenommen, um ihn in Quarantäne zu beobachten. Die Aktion war also nicht ganz erfolglos. In dem Science-Beitrag wird dieser Mann jedoch nicht erwähnt.
Die Berichte enthalten jeweils eine Aussage von Fran Miller, einem Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen, der beteiligt war. Kupferschmidt zitiert Miller jedoch in unterschiedlichem Zusammenhang mit unterschiedlichen Aussagen. Wie in anderen Fällen ist auch hier kein Grund ersichtlich, warum Kupferschmidt zwei unterschiedliche Versionen einer Geschichte für Science und für die SZ geschrieben hat.
Schließlich erzählte Kupferschmidt die Geschichte nochmals in seinem Buch im Abschnitt "Im Kontakt" (S. 48-50) in einer kürzeren Version ohne Verweis auf die früheren Veröffentlichungen. Wie nachfolgend gezeigt enthält das Buch auf S. 49 die von der Expedition verwendete Karte, die auch in dem früheren Science-Beitrag veröffentlicht wurde.
Inzwischen wurde die Geschichte noch ein weiteres Mal veröffentlicht. Zusammen mit Laura Salm-Reifferscheidt und Nicolas Semak hat Kupferschmidt einige Podcasts produziert, die von Viertausendhertz veröffentlicht wurden. In dem Hörbeitrag Liberia - Coronavirus und das Vermächtnis von Ebola vom 13.4.2020 berichtet erstaunlicherweise Salm-Reifferscheidt von jener Expedtion in Liberia.
Nun erfährt der Interessierte auch mehr zum Kontext der Reise. Kupferschmidt war nämlich zusammen mit Salm-Reifferscheidt und dem Filmemacher Carl Dierstorfer über Brüssel nach Liberia geflogen und hatte sich dort für etwa 10 Tage aufgehalten. Salm-Reifferscheidt und Dierstorfer hatten ebenfalls an der Suche nach der möglicherweise infizierten Frau teilgenommen.
Das Büchlein "Seuchen" offenbart neben Anekdoten auch immer wieder die Grundhaltungen des Autors. So gibt es bekanntlich für manche Erreger Impfstoffe. Wer geimpft ist, der kann sich zwar immer noch infizieren, aber ein Ausbruch der Krankheit kann oftmals verhindert oder der Krankheitsverlauf abgemildert werden. Ein Impfstoff hilft dem Immunsystem, besser und schneller mit den Erregern fertig zu werden.
Impfstoffe sind zweifellos ein Segen der modernen Medizin, aber leider kein Allheilmittel. Wie auch Kupferschmidt in seinem Buch berichtet, gibt es für manche Erreger trotz intensiver Bemühungen keine Impfstoffe, in anderen Fällen kann durch Impfungen nur ein teilweiser Schutz erreicht werden. Die Mittel sind nicht bei allen Menschen gleichermaßen wirksam.
Trotz moderner Medizin konnte mit den Pockenviren bisher nur ein gefährlicher Erreger weltweit ausgerottet werden. Kupferschmidt verwendet auf diesen seiner Meinung nach "einer der spektakulärsten Erfolge der Medizin" (S. 64) sieben Seiten. Der Erfolg gelang dank umfangreicher Impfkampagnen und besonderer Umstände. So sind Erkrankungen an den charakteristischen Hautausschlägen leicht erkennbar und das Virus kommt nicht in Wildtieren vor.
Dieser Einzelfall zeigt, dass es enorm schwierig und aufwändig ist, eine Erkrankung weltweit auszurotten. Wie Kupferschmidt selbst berichtet, hielt ein Expertengremium 1988 von 94 Erkrankungen nur sechs für prinzipiell ausrottbar.
Dennoch hält Kupferschmidt sich nicht zurück, dem Leser seine Ansichten aufzudrängen. In einem Sachbuch, das einführend über Seuchen und Behandlungsmöglichkeiten informieren will, ist das sicher nicht angebracht, noch dazu weil der Autor ausdrücklich als "Journalist" und nicht als Fachmann vorgestellt wird. Ein Journalist hat Sachverhalte neutral von allen Seiten zu beleuchten und die Bewertung den Lesern zu überlassen. Damit soll Journalismus Meinungsvielfalt ermöglichen und gerade nicht zu einer Einengung der Meinungsfreiheit führen.
In seinem Buch geht Kupferschmidt noch weiter und bezeichnet Eltern, die ihre Kinder nicht gegen Masern impfen lassen, als "asozial":
Zitat: "Eltern sollten sich klar machen, wie asozial es ist, sein Kind nicht zu impfen: ..." (S. 36).
Die Aussage ist respektlos, unsachlich und in einem Sachbuch völlig fehl am Platz. Der Autor berichtet nichts darüber, wie manche Menschen dazu kommen, bestimmte Impfungen abzulehnen. Gerade ein Journalist hat Menschen mit bestimmten Ansichten für legitime Entscheidungen keinesfalls zu diskreditieren.
Ein kleinformatiges Sachbuch wie "Seuchen" für die interessierte Allgemeinheit kann nur eine einführende Übersicht zum Thema geben. Ein Leser würde eine systematische Einführung erwarten mit Hinweisen zu den wichtigsten Krankheiten, Ansteckungswegen, Infektiosität, Inkubationszeiten, Behandlungsmöglichkeiten und Impfungen.
Die Angaben müssten quantifiziert sein und dem aktuellen wissenschaftlichen Stand entspreche, um den Leser in die Lage zu versetzen seine persönlichen Risiken einzuschätzen und sich entsprechend angemessen zu verhalten. Es müsste ersichtlich sein, ob der Autor auf eigene Kenntnisse und Einschätzungen zurückgreift oder sich etwa auf medizinische Standardwerke bezieht. Anekdoten sind in einem solchen Rahmen auch aus Platzgründen unangebracht.
Das Werk Kupferschmidts bietet gerade einmal eine nachvollziehbare Klassifikation von Erregern (Parasiten, Pilze, Prionen, Bakterien, Viren). Die weiteren Bestandteile sind weitgehend durch subjektive Einschätzungen des Autors gefärbt. Angaben zu Quellen und zur Herkunft von Daten und Textteilen fehlen weitgehend.
Das Buch, das zum unverschämten Preis von 10 Euro vertrieben wird, ist ärgerlich und überflüssig. Es enthält auch kein Register, stattdessen nur eine magere List mit acht "Lektüretipps". Der größte Mangel ist, dass das Buch keinerlei Angaben zu den Risiken von Impfungen und möglichen Impfschäden enthält.
Der Autor hat wie oben dargelegt Menschen, die bestimmte Impfungen ablehnen, pauschal als "asozial" ausgegrenzt, da sie angeblich die weitere Ausbreitung der Krankheit und die Schädigung Dritter in Kauf nähmen. Gleichzeitig will der Autor als Fachmann und Journalist keinerlei Informationen zu Impfschäden geben, die bekanntlich gelegentlich auftreten. Wer so vor geht, der disqualifiziert sich und sein Werk allein damit.
2019 hat Kupferschmidt bekannt gegeben, sich 2012 mit dem Humanen Immundeffizienz-Virus (HIV) infiziert zu haben, das auch in dem Buch besprochen wird. Dazu wird weiteres hier berichtet. An dieser Stelle sei lediglich angemerkt, dass ein Autor als Fachmann oder Journalist keinesfalls ein Sachbuch über Aids und Seuchen schreiben dürfte, ohne auf die eigene Betroffenheit hinzuweisen.
HIV ist praktisch nur durch bestimmte sexuelle Praktiken übertragbar, man kann sich davor leicht schützen. Doch hat Kupferschmidt es nicht vermocht, sich selbst zu schützen und damit zur Verbreitung der Seuche beigetragen. Es ist eine tragische Ironie, dass es Kupferschmidt auch deshalb nicht zusteht, das angebliche Fehlverhalten anderer hinsichtlich der Verbreitung von Krankheiten anzuprangern.
Zur Klarheit sei ergänzend angemerkt, dass der Autor dieser Zeilen in seiner Kindheit die damals üblichen Impfungen erhalten hat. Er wurde dreimalig gegen Masern und wie gesetzlich vorgeschrieben zweimalig gegen Pocken geimpft. Zuletzt hat der Autor 2019 eine Tetanus- und eine Grippeimpfung erhalten.
Der Autor dieser Zeilen ist der Meinung, dass alle Menschen einer rechtstaatlichen Gesellschaft, die sich im gesetzlichen Rahmen bewegen, frei über ihre Handlungsoptionen verfügen und sich für jegliche legitime Option entscheiden dürfen, ohne dafür diskriminiert, beleidigt oder in anderer Art sanktioniert zu werden. Insbesondere haben sich alle staatliche Stellen und Journalisten dafür einzusetzen, dass Menschen, die lediglich ihre legitimen Handlungsmöglichkeiten nutzen, dafür nicht diskriminiert oder sanktioniert werden.
Rechtstaatlichkeit ist für den Autor dieser Zeilen insbesondere das Recht und die Pflicht, für die Rechte anderer einzutreten. Der Autor dieser Zeilen fühlt sich deshalb auch nicht bedroht oder geschädigt durch Personen, die von ihren legitimen Rechten gebrauch machen und auf nicht gesetzlich angeordnete Impfungen für sich oder ihre Kinder verzichten möchten.
Journalismus ist für den Autor dieser Zeilen keineswegs ein Privileg bestimmter Personen, öffentlichkeitswirksam anderen Menschen bestimmte Meinungen und Handlungen aufzudrängen und sie für die Nicheinhaltung bestimmter subjektiver Ansichten zu diskriminieren.
14.12.2020 / Letzte Änderung: